Mehr Liebe als Rache. Das war das Symposion über Bildende Kunst und den Begriff des Tafelbildes I Galerie Tanglberg und Bad Ischl Salzkammergut

Am Ende der zweitägigen Veranstaltung Die Rache des Tafelbildes fragte der Künstler Peter Kogler, wie sich das Tafelbild eigentlich gerächt hätte, und er bekam eine pointierte Antwort: „Dadurch, dass es noch immer lebt”. Erich Spitzbart hatte für das Wochenende von 13. auf 14. Juli prominente Vortragende und ein interessiertes Publikum in seine Galerie Tanglberg in Vorchdorf eingeladen, um im Rahmen des Programms der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 über die Gegenwart der Bildenden Kunst zu diskutieren. Der Saal neben der gewohnt umfangreichen Ausstellung von – ja – Tafelbildern, war während der Vorträge und der Diskussion aller Teilnehmenden gut besucht und damit war eine erste Frage beantwortet: Können Künstlerinnen, Künstler und Menschen vom Fach zu einer Tour d’Horizon über das Wechselspiel von bildender Kunst und Gesellschaft ein interessiertes Publikum anziehen?

Sie konnten es: der Künstler Peter Kogler, der Historiker, Journalist und ehemalige Wien Museum Direktor Wolfgang Kos, die Kunst- und Kulturhistorikerin Natalie Lettner, die Kunst- und Kulturpublizistin, Kuratorin und Bloggerin Nina Schedlmayer, die Künstlerin und Kommissärin des Österreich Pavillons bei der Biennale di Venezia 2011 Eva Schlegel, die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 Elisabeth Schweeger und der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm. 
 
Dank der ausführlichen und sehr unterschiedlichen Präsentationen und Positionen blieb das Publikum aufmerksam und aktiv – mit Rainer Rosenberg als Moderator wurden Wege von der Höhlenzeichnung bis zum Aktionismus beschritten, es ging vom Sakralen zum Sakrileg, vom ehedem männlich fixierten Maler-Geniekult zum Aufbruch der Künstlerinnen, um die jahrhundertlange patriarchale Verdrängung zu überwinden.
 
Die Bezeichnung „Flachware” hat das Genre des Tafelbildes herausgefordert, Performances, Installationen, digitale Kunst, politisch/gesellschaftliche Interventionen von Künstler*innen haben viele zusätzliche Perspektiven ermöglicht. Auch auf die Bilder, die man zum Beispiel in der Galerie Tanglberg in Vorchdorf betrachten kann. Wie nannte Wolfgang Kos seinen Vortrag? „Rahmen sind keine Zäune / Tafelbilder sind nicht flach”. Und so wird weiter gemalt und gehandelt (immer wieder zu Rekordpreisen). Das Tafelbild kann in unterschiedlichsten Zusammenhängen geliebt und geachtet werden und ist ein besonderes Symbol für bildende Kunst geblieben.

Malerei und Tafelbild als zentrale Referenz-Systeme
„Seit den 1970iger und 1980iger Jahren ist es ziemlich schwierig geworden den Überblick in der Kunst zu behalten. Während in den 1970iger Jahren Kunst als internationales ‚gesellschaftliches Projekt’ begriffen wurde und sich viele Galerien als ‚Informationsgalerien’ verstanden, eine Vielzahl an ‚ismen’ und Strömungen in der Kunst wie die Concept Art, Performance Art oder der Minimalismus dominierten, kam es in den 1980iger Jahren zu einem Paradigmenwechsel. Die Malerei von national zuordenbaren Gruppierungen wie Transavantgardia in Italien, Figuration Libre in Frankreich und der Neo-expressionismus in Deutschland bestimmten den Ausstellungsbetrieb in den Galerien von New York bis Köln. Mit der fortschreitenden Globalisierung der Gesellschaft und der Bedeutung digitaler Kommunikationsmedien agiert Kunst heute in einem fragmentierten Feld, in dem Gruppen und Zentren kaum zu erkennen sind. Umso wichtiger ist es, Kunst in einem historischen Zusammenhang zu sehen. Die Geschichte der Malerei bildet ein zentrales Reverenz-System.” Peter Kogler, Künstler, Wien

Rahmen sind keine Zäune, Gemälde sind nicht flach
„Immer öffneten sogar Gemälde – z.B. durch massiven Farbauftrag oder ihr Zusammenspiel mit Räumen – eine dritte Dimension. Die Wirkung von Altarbildern beruhte darauf, dass sie über ihre Bildgrenzen hinauswirkten und damit integrativer Teil der Raumkunst waren. Kunstwerke erfordern mehrere Blickrichtungen und sind fast nie statisch. Deshalb lässt sich Kunst nur unzulänglich fotografieren und abbilden. Der Begriff ‚Tafelbild’ lässt an eine Zeit denken, in der Kunstwerke zumeist flach waren, um sie gut an Wände hängen zu können, und sich auf ein viereckiges Feld innerhalb eines Rahmes zu beschränkten.
Seit vielen Jahrzehnten ist das Streben nach Erweiterung und Grenzüberschreitung ein wesentlicher Faktor auf der Suche nach zeitadäquaten Ausdrucksformen: Multimedialität und Mehrdimensionalität, installativer Vielfalt und Einbeziehung des Raums – ob im ‚White Cube’ oder im öffentlichen Raum oft auch mit sozialen Bezugnahmen. Gerade, weil derartig ausgreifende Werke heute als ‚state of the art’ gelten und Trends schnell zu Konventionen werden können, ist es wichtig, nicht nur ihre Intentionen zu bewerten, sondern auch ihr formales Potenzial.”
Wolfgang Kos, Historiker, Journalist und ehemaliger Wien Museum Direktor, Wien

Tafelbild: Wann? Wo? Warum nicht? – Stichproben in die Kunstgeschichte
„Stichproben in die Kunstgeschichte veranschaulichen: Das autonome Tafelbild ist ein spätes, keineswegs selbstverständliches Phänomen. Und auch wenn es Tafelbilder gibt, bilden sie selten die „Königsdisziplin” der Kunst. Seit über 100 Jahren wird wiederum regelmäßig der Tod der Malerei diskutiert – eine sinnlose Debatte. Auch wenn sich der Kunstbegriff permanent erweitert und wandelt, bleibt das Tafelbild – unter vielen anderen! – eine legitime und spannende Kunstform: wie etwa die großartigen Gemälde von Maria Lassnig.” Natalie Lettner, Kunst- und Kulturhistorikerin, Wien

Feministische Kunst und Malerei
„Die feministische Kunst hat ein kompliziertes Verhältnis zur Malerei, die lange Zeit stark mit der Vorstellung eines männlichen Künstlergenies verknüpft war. Ambitionierte junge Künstlerinnen wurden lange Zeit entmutigt zu malen, die Leistung von Frauen in der Malerei aus dem Kanon der Kunstgeschichte gedrängt. Bis in die jüngere Vergangenheit waren in zahlreichen Malerei-Ausstellungen keine oder kaum Frauen vertreten. Dennoch artikulieren Malerinnen wie Sylvia Sleigh, Miriam Cahn und Anna Meyer Wege feministische Perspektiven in der Malerei.” Nina Schedlmayer, Kunst- und Kulturpublizistin, Kuratorin, Bloggerin, Wien
 
Analoge und digitale Kunst schließen einander in der Kunstproduktion nicht aus
„Beginnend bei Marcel Duchamp, der den ‚Bildraum’ 1938 bei der ersten Präsentation der Surrealisten in der Galerie des Beaux Arts in den ‚realen Raum’ erweiterte, in dem er eine Glühbirne und 1200 Kohlensäcke an der Decke anbrachte und die Besucher*innen mit Taschenlampen ausstattete. Bei der ersten Vorstellung von surrealistischer Kunst 1942 in New York band er die Werke in eine Fadenverspannung ein, die den gesamten Raum füllte. Yves Klein war mit ‚La Vide’ und ‚The Jump into the Void’ ein wichtiger Impuls für meine Installationen, die Filme fliegender Frauen und Männer in Straßenkleidung mit Hilfe von Rotoren im Raum schweben lassen. Und in Filmen der Augmented Reality-Installationen erarbeitet mit der Künstlergruppe 2MVD für die Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 ‚Memories from the Future’, einer aktuellen Arbeit, zeige ich, wie bewegte Skulpturen einen neuen, erlebbaren Raum eröffnen, und nur in Form von Fotos oder Filmen festgehalten werden können.” Eva Schlegel, Künstlerin, Wien

Kunst als Reflexions- und Möglichkeitsraum
„In der Kunst geht es nie um Ausgrenzung, sondern immer um ihre Möglichkeiten. Kunst macht etwas mit uns, schreibt sich in unsere Körper ein, hat immer eine Wirkung, direkt oder indirekt, auf uns und die Gesellschaft. Wie bewegt man sich als Künstler*in, dass der Freiraum noch garantiert ist, auch oder gerade, weil Kunst Unterstützung braucht? Als ein wesentliches Standbein der Gesellschaft nimmt sie Teil an gesellschaftlichen Prozessen und Entwicklungen. Mit ihrer Kreativität legt sie den Finger in die Wunden, differenziert, aber ist auch visionär und damit Informationsquelle für politische und zivile Handlungen. Ohne ihre Reflexions- und Möglichkeitsräume gäbe es keine Veränderung. Das Wichtigste ist, dass Kunst Haltung beweist. Ohne Kunst kein Menschsein.” Elisabeth Schweeger, Künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 
 
Die biblische Basis der Rezeptionsästhetik
„Das Salz der Erde in der Bergpredigt impliziert das Scheitern der Vermittlung einer Botschaft. Interpretation vollendet das (Kunst)Werk in seinen offenen Bedeutungen. Der religiöse Grund der Kunst verlangt nach dem Salz der Erde.” Thomas Zaunschirm, Kunsthistoriker, Wien

Über den Autor

Dr. Rainer Hilbrand
Medieninhaber u. Geschäftsführer

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