VCÖ: Alternative Treibstoffe alleine werden den Flugverkehr nicht nachhaltig machen

Der Sommer ist da und der Flugverkehr boomt – mit stetiger Wachstumsprognose für die kommenden Jahre. Der Flugverkehr in Wien-Schwechat hat im Jahr 2023 bereits 93 Prozent des Vor-Krisen-Niveaus erreicht. Am 28. Juni 2024 wurde der Tag mit den meisten Flugpassagieren in der Flughafen-Geschichte verzeichnet. Aus Klimaschutzperspektive sind das herausfordernde Nachrichten, denn fliegen ist – alleine schon aus physikalischen Gründen – eine der energieintensivsten und damit auch klimaschädlichsten Fortbewegungsarten. Ein Kurzstreckenflug bis 1.000 Kilometer verursacht pro Kilometer rund 27-mal so viele CO2-Emissionen wie die Bahn in Österreich. Im Jahr 2023 verursachte das in Österreich getankte Kerosin rund 2,7 Millionen Tonnen CO2-Emissionen und damit eigentlich mehr als 10 Prozent des gesamten Verkehrssektors – eigentlich, weil diese Emissionen (mit Ausnahme der 0,03 Millionen Tonnen CO2 des Inlandflugverkehrs) bei der österreichischen Klimabilanz ausgeklammert bleiben. Ausgeklammert bleibt meist auch der eigentlich größere Teil des Problems, der vielen unbekannt ist: rund zwei Drittel der klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs gehen auf sogenannte „Nicht-CO2-Effekte” zurück. Damit ist vor allem die erhöhte Klimawirksamkeit von Stickoxid-, Wasserdampf- und Rußpartikel-Emissionen in 8-12 Kilometern Flughöhe und die dadurch verursachten Kondensstreifen gemeint.

Nachhaltigkeitshoffnung alternativer Flugtreibstoff
Es stellt sich die Frage, wie und ob nachhaltiger Flugverkehr möglich ist? Bei Angeboten zur sogenannten CO2-Kompensation ist genaues Hinschauen nötig. Denn eine Analyse im Jahr 2023 hat ergeben, dass mehr als 90 Prozent der CO2-Zertifikate des größten Anbieters „Phantomkredite” sind, denen keinerlei reale CO2-Reduktion zugrunde liegen. Eine andere Hoffnung verbirgt sich hinter der Abkürzung „SAF” (sustainable aviation fuels), womit die Entwicklung von alternativem Flugtreibstoff aus erneuerbaren Quellen gemeint ist. Dazu hat die EU im April 2023 die „ReFuel-Aviation”-Verordnung beschlossen, die verpflichtende SAF-Beimischungsquoten zum fossilen Kerosin beginnend ab dem Jahr 2025 vorsieht. Unterschieden wird dabei zwischen biogenem und synthetischem SAF – wobei die heutige Produktion fast ausschließlich auf Ersterem aufbaut, während Produktion und Entwicklung von Zweiterem (Stichwort „E-Kerosin”, basierend auf Elektrizität, Wasserstoff und CO2) erst in den Kinderschuhen steckt.
Altes Speiseöl ist ausverkauft
Öffentlichkeitswirksam wird dabei häufig auf das nachhaltige Potenzial von Altspeiseöl verwiesen. Tatsächlich kann über den sogenannten HEFA-Pfad aus Altspeiseöl biogener SAF hergestellt werden. Es gibt nur einen Haken: der potenzielle Bedarf steht in keinem Verhältnis zur nachhaltig verfügbaren Menge. Ein Team der TU Graz hat berechnet, dass für einen einzigen SAF-Flug basierend auf Altspeiseöl von Wien nach New York und retour rund eine Million Schnitzel frittiert werden müssten. EU-weit (inklusive Großbritannien) wird schon derzeit achtmal mehr Altspeiseöl im Verkehr verbraucht als gesammelt wird und viermal mehr verbraucht als in der EU potenziell gesammelt werden könnte – wobei der zukünftige Bedarf aus dem Flugverkehr noch gar nicht eingerechnet ist. Rund die Hälfte des Sammelpotenzials von Altspeiseöl wird in der EU bereits ausgeschöpft – vorrangig in Gastronomie und Lebensmittelindustrie. Weniger als zehn Prozent stammt derzeit von privaten Haushalten, obwohl dort etwa die Hälfte des Potenzials schlummert. Hier herrscht also der größte Handlungsbedarf. Der Großteil des Altspeiseöls landet derzeit als Biodiesel in Kfz-Motoren, nur vier Prozent werden für die SAF-Produktion verwendet. Dass eine Mehrnutzung im Flugverkehr unweigerlich zu Engpässen in anderen Bereichen führt, zeigt das Beispiel Ryanair: würde das selbstgesteckte Ziel von 12,5 Prozent SAF-Anteil im Jahr 2030 erreicht und dafür ausschließlich Altspeiseöl eingesetzt, wäre damit bereits das gesamte in der EU potenziell verfügbare Altspeiseöl aufgebraucht.

Hohe Altspeiseöl-Nachfrage als Anreiz für Etikettenschwindel
Die große Versorgungslücke in Europa wird derzeit durch Importe vor allem aus China, Indonesien und Malaysia gefüllt. Aus der hohen Import-Abhängigkeit ergeben sich schwer kontrollierbare Risiken beim eigentlichen Sinn der Übung – der Nachhaltigkeit. Malaysia exportiert gemäß einer aktuellen Analyse rund dreimal mehr Altspeiseöl, als überhaupt nachhaltig im Land verfügbar ist. Die chinesischen Exporte haben sich vom Jahr 2021 bis 2023 überraschend mehr als verdoppelt. Beide Beispiele weisen auf einen möglichen Etikettenschwindel im Sinne der Umdeklarierung von frischen Pflanzenölen hin, der im Nachhinein schwer nachzuweisen ist. Gut möglich also, dass dadurch auch das in Österreich seit dem Jahr 2021 nicht mehr als Biokraftstoff anrechenbare Palmöl als vermeintliches Altspeiseöl in die EU importiert wird. Nachhaltigkeit im Flugverkehr beginnt bei der Nachfrage
Altspeiseöl wird dem Flugverkehr aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit also nur bedingt zur Nachhaltigkeit verhelfen. Ein starker Fokus sollte daher auf Entwicklung und Produktion von synthetisch produziertem E-Kerosin auf Basis erneuerbarer Energiequellen liegen. Seit Anfang 2023 betreibt AVL List in Graz die erste Pilotanlage Österreichs, wo im ersten Betriebsjahr die Produktion von rund 80 Tonnen E-Fuels anvisiert sind – wovon ein Drittel als E-Kerosin für den Flugverkehr vorgesehen ist. Eine Ausweitung der Anlage auf die 20-fache Kapazität ist geplant. Bleibt der E-Kerosin-Anteil der Produktion konstant, entspräche das weniger als zehn Prozent der im Jahr 2030 von der ReFuel-Aviation-Verordnung vorgesehenen E-Kerosin-Beimischung zum fossilen Flugtreibstoff in Österreich. Anders gesagt: So oder so, die Produktionskapazitäten für nachhaltigen Flugtreibstoff sind äußerst begrenzt. Daraus ergeben sich einige Leitplanken für eine nachhaltige Flugverkehrsstrategie: Die Technologie alleine wird es nicht richten, ein „weiter wie bisher” inklusive Wachstumsprognose ist keine nachhaltige Option. Es muss daher auch bei der Nachfrage angesetzt werden – etwa indem Geschäftsflüge durch Videokonferenzen ersetzt oder auf die Bahn verlagert werden und bei Urlaubsplanungen geprüft wird, ob es klimaverträglichere Varianten gibt. Das fällt zugegebenermaßen schwer, solange Flugreisen zu Spottpreisen angeboten werden können – was unter anderem dadurch ermöglicht wird, dass die Flugindustrie nach wie vor von einer anno 1944 beschlossenen Starthilfe für die damals noch junge Branche profitiert, die sich im Jahr 2022 europaweit auf rund 34 Milliarden Euro an indirekten Subventionen belief. Spottpreise und nachhaltiger Konsum widersprechen sich, soviel liegt auf der Hand. Wer von nachhaltigem Flugverkehr in Zeiten der Klimakrise spricht, sollte daher wohl als erstes diesen Subventionsdinosaurier ins Museum stellen.

Michael Schwendinger
VCÖ – Mobilität mit Zukunft

Über den Autor

Dr. Rainer Hilbrand
Medieninhaber u. Geschäftsführer

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